Kurzgeschichten bei Gartenwelt-Natur.de!
Hier kommen auch unsere Leser zu Wort....

Nächste Seite

 
 
 

 

Rote Rosen für ein Traumauto

 

Von Sofie Meys

 

 

Mit einem gewaltigen 'Rumms' sauste die Faust auf die Theke herab.
„Was soll das heißen, das bestellte Cabrio ist nicht da?!“
Ein angriffslustiger Blick durchbohrte die zierliche Person auf der anderen Seite der Theke.
„Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?“
Die junge Frau wagte ein vorsichtiges Lächeln und schaute ihr Gegenüber fragend an.
„Ich bin Dr. Henrichsen, Direktor der Emmerich-Werke.“
„Wie gesagt, Herr Direktor, es tut uns wirklich leid.“
„Pleite gehen werden Sie mit dieser Arbeitseinstellung!“
„Aber Herr Direktor, vielleicht darf ich ...“
„Nichts da, dass Sie Ihren Laden hier zumachen können, dafür werde ich höchstpersönlich sorgen! – Und nun besorgen Sie mir einen adäquaten Ersatz für das bestellte Auto… sofort, wenn ich bitten darf!“
Die Mitarbeiterin der Leihwagen-Vermietung schaute in den vor ihr liegenden Plan.
Anscheinend wusste sie immer noch nicht, wen sie vor sich hatte, denn sie schien keinesfalls beeindruckt vom Auftritt des Direktors.

Kein Wunder, dass hier in diesem Provinznest niemand die überaus berühmten Emmerich-Werke aus Frankfurt kennt. Maschinenbauteile auf dem allerneuesten Stand der Technik..wer braucht das hier, in dieser Einöde...

„Ja, was machen wir denn da?...Hmmm...“
Die zierliche Angestellte der Leihwagen-Firma schaute von ihrem Plan auf und blickte ihr Gegenüber freundlich an.
 „Kommen Sie bitte, Herr Direktor, ich zeige Ihnen Ihren Wagen.“
Mutig schritt sie an dem hochgewachsenen und inzwischen ganz rotköpfigen Direktor vorbei und nickte ihm aufmunternd zu, ihr zu folgen.
Mit einem Schnauben stampfte er hinter der kleinen blonden Person her.
Auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude der Autovermietung stand nur ein einziges Fahrzeug. 
Die junge Frau zeigte auf das verwaiste Auto und verursachte damit augenblicklich einen weiteren Wutanfall bei Dr. Henrichsen.
„Waaas!! Diese alte Kiste wollen Sie mir allen Ernstes unterjubeln?“
Er schnappte aufgebracht nach Luft. Doch bevor er den Mund für einen weiteren heftigen Protest öffnete, wurde ihm anscheinend mit einem Schlag klar, dass es für den Moment keine Alternative für ihn gab.
„Nun geben Sie mir schon die Schlüssel! Ich habe einen wichtigen Termin!!“, grummelte er stattdessen und starrte apathisch auf das ihm dargebotene Gefährt.
Die junge Frau reichte ihm die Schlüssel und wünschte eine angenehme Fahrt.
„Rückgabe des Fahrzeugs bitte morgen Vormittag 11 Uhr!“, ergänzte sie mit einem strahlenden Lächeln.

Ärgerlich vor sich hin brummend stieg der Direktor in den orangefarbenen Transit, welcher seine besten Tage augenscheinlich schon vor sehr langer Zeit hinter sich gebracht haben musste.
Auch wenn es langsam zu dämmern anfing, meinte er, zahlreiche Roststellen an dem Auto zu erkennen und das, obwohl die Farbe Orange schon die beste Tarnung für jede Art von  Rost gewesen ist.
„Das wird ein Nachspiel haben, das verspreche ich Ihnen!“ brachte er noch hervor, dann knallte die Tür des Fahrzeugs mit einem lauten Scheppern in ihr rostiges Schloss.
Kurz darauf brauste das betagte Vehikel mit quietschenden Reifen davon.

Dr. Henrichsen wusste von seinem leicht entzündbaren Charakter. Sein Arzt hatte ihm prophezeit, dass er nicht alt werden würde, machte er so weiter wie bisher und schaffte es nicht, sein aufbrausendes Temperament unter Kontrolle zu bekommen.
Doch glaubte er  wiederum felsenfest daran, dass ihm gar keine andere Wahl blieb.
Es seien seine Führungsqualitäten, wie er vor seiner Familie oder Geschäftsfreunden oft prahlte, die ihn ja auch beruflich so weit gebracht hatten.
Wie könnte ein Weichei auch bestehen in dieser Welt, in der vor allem Härte, sich selbst, aber auch anderen gegenüber, zählte und einen beruflich weiter voran brachte.
Immer noch kochend vor Wut über diese unglaubliche Respektlosigkeit in Form dieses unsäglichen Autos, wollte er nun darüber nachsinnen, mit welchen Gemeinheiten er der Leihwagen-Vermietung den Garaus bereiten könnte.
Doch dröhnte sein Kopf immer noch von dem lauten Knall, mit der er die alte rostige Tür des Transits so heftig zugeworfen hatte. Dieses Geräusch war ihm doch allzu vertraut vorgekommen. Als wäre es erst gestern gewesen, wie er als junger Student in sein erstes eigenes Auto gestiegen war und voller Schwung und Elan seine alte Tür zugeworfen hatte….  Ihm gehörte die Welt… damals.
Eine Welle der Erinnerung durchströmte ihn.

Ich könnte,... man sollte bei der Rückgabe des Autos morgen Vormittag gleich...

Warum konnte er sich nur so schlecht konzentrieren?

..ich könnte... einen.. Strauß Rosen kaufen..

Er schüttelte erschrocken über sich selbst den Kopf.
Rosen?!? Ungeheuerlich, so etwas auch nur zu denken!
„Rosen!“, sagte er laut vor sich hin und spürte, wie sich seine soeben noch so schmerzlich in seine Eingeweide eingegrabene Wut mit einem seltsamen Kribbeln im Bauch einen Weg nach außen bahnte, und zwar in Form eines laut schallendem Gelächters, das, so schien es, die Armaturen des alten Transits zum Vibrieren brachte.
Energie strömte durch den Körper des Mittfünfzigers. Mit einem lauten Krachen schaltete er in den vierten Gang. Der alte Transit stotterte ohne Eile vor sich hin.
„Rosen? Ha.“
„Rosen für diese.. für diese..“ Ihm fiel absolut kein passendes Schimpfwort für die Frau ein, die ihn gerade erst mit dem Verleih dieser Rostlaube so unverschämt brüskiert hatte.
Für diese..für diese...,

in seinem Kopf schienen gleich mehrere Hebel umgeschaltet zu werden. 
 
für diese… zauberhafte kleine Frau!


Schockiert und verwirrt zugleich trat er auf die Bremse. Vor ihm erschien ein Zebrastreifen und am rechten Straßenrand stand ein alter Mann mit einem Gehstock. Dieser machte sich sogleich daran, die Straße zu überqueren und hob seinen Stock zum Dank in seine Richtung. Ein Lächeln schickte er ebenfalls hinterher.
Wie er es hasste, wenn Menschen ihm mit ihrer Langsamkeit die Zeit stahlen. Wenn jeder so viel und so hart arbeiten würde wie er, oder auch nur eine Ahnung von harter Arbeit hatte, so würde er oder sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen, anderen Menschen in ihren exakt durchstrukturierten Tagesplan zu pfuschen.
Warum hatte er überhaupt angehalten?
Der Alte drehte erneut seinen Kopf in die Richtung des alten Transits und lächelte dem Fahrer darin nochmals zu. Beim Blick auf das alte rostige Auto nickte er verständnisvoll.
Wann hatte ihn jemand das letzte Mal so freundlich angelächelt? Er wusste es nicht mehr.
Immer noch lächelte der Alte ihm aufmunternd zu und nun konnte er sich nicht mehr dagegen wehren. Zaghaft bewegten sich seine Mundwinkel Richtung Norden und ein freundliches Lächeln erschien auf seinem vom Zorn immer noch leicht geröteten Gesicht.
Als der Alte die andere Seite der Fahrbahn erreicht hatte, fuhr er an und schaltete sanft in den zweiten Gang.
Wann genau hatte er eigentlich seinen dringenden Termin? Ihm wollte es einfach nicht einfallen. Stattdessen schaltete er das Radio an. Nach einem leisen ‚Klick’ ertönte etwas rauschend Musik.
Er erinnerte sich an sein erstes Auto. Ein Ford Escort. Das war 1977 gewesen.
Den Kopf voller verrückter Ideen… Ein Heißsporn, der er schon immer gewesen war, doch bei seinen Freunden außerordentlich beliebt, weil er für jeden Spaß zu haben gewesen war.
Auf der linken Straßenseite erschien ein großes Schild: „Acapulco-Café“
Für seine spontanen Einfälle war er einst bekannt gewesen.
Blinker links.
Ein verwildertes Gelände, welches den Gästen des Cafés offenbar als Parkfläche zur Verfügung stand.
Eine alte Rostlaube stand hier neben der anderen! Er parkte in eine Lücke ein und stieg etwas mühselig aus dem alten Ford.
„Spießer!“, murmelte er beim Anblick eines schicken Mercedes neueren Baujahrs, der hier, zwischen rund einem Dutzend ‚Oldies’ wie ein Fremdkörper wirkte.
Ohne Eile erreichte er den Eingang des kleinen Cafés. Es besaß eine kleine Veranda und zwei Männer standen dort in ein Gespräch vertieft. Er wusste nicht so recht, was er hier eigentlich wollte. Er verspürte weder Durst noch Hunger, doch irgendetwas in seinem Inneren schien in Bewegung geraten zu sein. Alte, längst vergessene Schwingungen.

Ob die alte Rostlaube Schuld daran war…?

Ein vornehm wirkender Herr in einem dunklen Anzug sprach in einer arroganten Manier, die ihm von ihm selber nur allzu bekannt war, zu einem beschürzten Mann mit Schnäuzer.

Jogi!

A
ugenblicklich erkannte er in dem Mann mit Schürze seinen alten Freund aus Studententagen. Dieser Hallodri sprach damals von nichts anderem, als von seinem Traum, auszusteigen. Ein Café oder ein kleines Restaurant…..
Eine unglaubliche Freude durchströmte ihn und er ging auf den einstigen Freund zu. Den arroganten Typ im Anzug ignorierend, sprach er ihn sogleich an:
„Jogi, das gibt es doch nicht! Wie geht es dir?“
Der Freund vergaß den Herrn im Anzug augenblicklich. Auf seinem Gesicht zeigte sich überschäumende Begeisterung:
„Benno?? Das ist doch nicht möglich. Mensch, wie freue ich mich! Komm herein, lass’ uns zusammen etwas trinken.“
Doch dann zögerte Jogi für einen Moment, blickte nachdenklich zu Boden.
„Benno, du… ja, wie soll ich das sagen, du bist soeben Zeuge geworden….“
Er schaute nervös zu dem Herrn im Anzug, der ihn entgeistert anstarrte.
„Ich bin pleite, Benno. -- Es ist aus mit dem Café Acapulco“, fügte  er leise hinzu.
Nun war es an Benno, den Freund entgeistert anzustarren. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf.
Was für ein verrückter  Tag! Was für ein merkwürdiges Auto!! Wieso hat es mich hierher gebracht?
Und mit einem Schlag hatte er die Erleuchtung seines Lebens.
Sein Entschluss stand blitzschnell fest.
„Wieviel brauchst du?“ fragte er den Freund. „Ich steige bei dir ein – wenn es dir Recht ist!“
Den piekfeinen Pinkel, dem es anscheinend komplett die Sprache verschlagen hatte,  einfach auf der Veranda stehen lassend, gingen die zwei Freunde ins Innere des gemütlichen Cafés. Sie setzten sich an einen großen schweren Holztisch und schmiedeten Pläne wie in alten Studententagen. Benno lernte Jogis Frau kennen, die ebenfalls im Café arbeitete. Sie tranken und redeten bis weit nach Mitternacht. Alle Gäste waren längst nach Hause gegangen. Die Wichtigkeit von ‚dringenden’ Geschäftsterminen war in ganz weite Ferne gerückt.
Es kam Benno fast so vor, als hätte die Zeit still gestanden in den letzten 33 Jahren. Als hätte er gar nicht richtig gelebt in dieser Zeit und wäre nur immer von Erfolg zu noch mehr Erfolg gehastet, getrieben von der Gier nach Macht, Geld und Ansehen. Auf einmal begriff er, dass es gar nicht das, was er bis heute erreicht hatte,  gewesen ist, wovon er als junger Mann tatsächlich geträumt hatte. Er begriff, wie viel er im Grunde verloren hatte, viel mehr als sein Freund Jogi, der zwar pleite war, der aber etwas behalten hatte, was, wie er nun erkennen musste, von weitaus größerem Wert war als Geld und Macht: Seine Träume.
Er übernachtete in der Wohnung seines Freundes.
Bevor er erschöpft die Augen schloss, ging ihm noch ein Gedanke durch den Kopf. Das würde sein wichtigster Termin für den anbrechenden Tag sein:

                        Rote Rosen kaufen, für die junge Dame vom Auto-Verleih!!

 

 

 

Nächste Seite