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Tödliches Gift


von Sofie Meys




Es hat ihn schon ein wenig gewundert, dass man gerade ihn, den neu Zugezogenen, so vielstimmig in den Vorstand gewählt hatte. Eigentlich hatte er das auch gar nicht gewollt, ahnte er doch, wie viel Arbeit so ein Posten mit sich bringen würde: Zeit- und nervenaufreibender Schriftverkehr mit den Verbänden, Gartenbegehungen, Vorbereitung und Leitung der Jahreshauptversammlung, vom Ärger mit den Vereinsmitgliedern, der mit Sicherheit nicht ausbleiben würde, ganz zu schweigen.
Nun hatte er also, wovon er schon so lange geträumt hatte: einen eigenen kleinen Gemüsegarten, einen Rückzugsort in frischer Luft und lebendiger Natur, eine blühende Frischluft - Oase inmitten einer belasteten Umwelt. Die Chemie südlich von Köln lässt grüßen!
Oh nein, nicht mehr mit ihm! Vom Labor aus würde er nun direkt in seinen eigenen kleinen Garten fahren und in der wundervollen braunen Erde wühlen. Herrliche Aussichten!
„Guten Tag, Herr Schneider!“
Im Gesicht der kleinen, etwas korpulenten Frau schien das Lächeln wie angepappt.
„Ja, Guten Tag, Frau.. ähm“
Er versuchte es ihr, was das Lächeln anging, gleichzutun, jedoch schienen seine Gesichtszüge zu derlei akrobatischen Entgleisungen nicht fähig, so gab er es auf und eilte an der chronisch vor sich hin lächelnden Gärtnerin vorbei, und seinem eigenen kleinen Paradies zu.
„Der ist elendig krepiert. Glaub mir, die Obduktion hat ergeben, dass er vergiftet wurde“
„Ja, aber wer soll das denn gemacht haben? Der hatte doch gar keine Feinde. – Noch nichtmal Freunde hatte der..“
Seltsame Unterhaltung, dachte er, während er seine gesammelten Grünabfälle auf dem Kompost ausleerte. Hinter der beinahe blickdichten Rotbuchenhecke nahm er die Umrisse der zwei Gärtner wahr.
„Ist ja ein komischer Kauz, der Neue“. Beide senkten wie auf Kommando ihre Stimmen. „Ja, wenn der wüsste...“
Wenn er was wüsste..?!
„Guten Tag, die Herren“, rief er in die dicht belaubte Hecke hinein. Eisige Stille schlich durch jede Ritze der saftig grünen Blätterwand. Dann hörte er ein Räuspern.
„Ach, sind Sie das Herr Schneider? Sie haben sich aber leise herangeschlichen..“
„Ich habe mich nicht herangeschlichen, sondern bin ganz normal in meinen Garten gegangen und habe meine Grünabfälle auf dem Kompost entleert“, schleuderte er der Hecke entgegen.
„Ach so, na dann noch frohes Schaffen“, kam es durch das Gezweig zurück.
Schemenhaft konnte er erkennen, wie sich die zwei Gestalten entfernten. Nun war alles ruhig. Endlich. Die Stille, nach der er sich so gesehnt hatte, inmitten von grünen Pflanzen, zu hören höchstens ein Brummen von emsigen Bienen oder das Zwitschern der Vögel.
Nein, er würde sich nicht gleich in die Arbeit stürzen, sondern erst einmal nur genießen.
Verträumt blickte er um sich und sog die Aussicht auf „sein Stück Garten“ förmlich auf.
Die Parzelle grenzte zur einen Seite an eine Spielstraße, welche von schicken Reihenhäusern gesäumt wurde. An einem der Fenster sah er ein Gesicht. Instinktiv blickte er zu der Gestalt hinauf. Das Gesicht verschwand. War das nicht..? Doch, ganz sicher, sie war es. Hmmm... oder vielleicht doch nur ein Streich seiner Fantasie?
Eine schon etwas gebeugt gehende Alte kam mit schlurfenden aber hastigen Schritten auf den Zaun, der seinen Garten von der Straße trennte, zu. Wollte sie etwa zu ihm?
„Hören Sie, junger Mann“, krächzte die Alte. „Gehen Sie weg, fort von hier“, sie machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung, „sonst ist es bald aus mit ihnen, hören Sie!“
„Wie, was, ich meine, was soll das denn?“ Verwirrt starrte er die Alte an. Wer sollte ihm denn nach dem Leben trachten?
„Das sind die Seelen der toten Männer, die lassen sich nicht mehr - beschwichtigen“, sagte die Alte im Weggehen und diesmal setzte sie ihre Füße sehr langsam einen vor den anderen, so als hätte sie zuvor all' ihre Kraft zusammen nehmen müssen, um ihm ihre Warnung zu übermitteln. So, jetzt reichte es ihm aber. Er wollte der Sache nun auf den Grund gehen.
Von seinem kleinen Eingangstörchen aus kam er auf einen gemeinschaftlich genutzten Weg. An diesen grenzte etwa die Hälfte aller Gartenparzellen. Mal schaun', wer heute „zuhause“ war.
Aha, gleich beim übernächsten Garten wurde er bereits fündig. Kniete dort nicht jemand inmitten von Karotten?
Als die Unkraut jätende Person ihn erblickte, versuchte sie sich noch tiefer hinunter zu bücken, wohl darauf hoffend, dass man sie zwischen dem Laub der Rüben übersehen würde, doch war er schon ganz frech eingetreten und schnurstracks auf dem Weg zum Karottenbeet.
Ganz hübsch der Garten, dachte er, nicht so aufgeräumt wie die meisten anderen hier.
„Guten Tag, ich bin der neue Vorsitzende und wollte nur mal nach dem Rechten schauen“, sagte er lachend, und löste mit dieser locker dahingeworfenen Bemerkung blankes Entsetzen auf dem Gesicht der etwa 45-jährigen Gärtnerin aus. Sie kniete immer noch zwischen ihren üppig wachsenden Pflanzen.
„A-a-aber, wissen Sie, ich war krank gewesen, dann ging es meinem Mann nicht so gut und nun wächst natürlich allerorten das Unkraut... und ich habe jetzt gerade erst anfangen können..“
Er musste grinsen, schaute dann mit betont kritischer Mine um sich. Tja, gehörte es nicht auch zu seinen Pflichten als 1.Vorsitzender, hin und wieder die Gärten auf Vernachlässigung hin zu inspizieren? Also könnte er ja gleich heute damit beginnen, ein wenig Vereinsarbeit zu verrichten..
„Hmm...ja, jetzt wo Sie es sagen, sehe ich es auch. Das hier, ist das nicht Kriechender Hahnenfuß? – und dort sehe ich sogar ein wenig Schachtelhalm!“
„Ja, aber den habe ich schnell raus, ich bin ja erst seit heute wieder dran...“, erwiederte die Gärtnerin hastig.
„Na, da wollen wir doch mal ein oder zwei Augen zudrücken.“ Er lächelte wie ein gutmütiger Lehrer, der seine Schüler voller Wohlwollen und ohne die rechte Ernsthaftigkeit tadeln musste –
„Aber eine Frage hätte ich noch an Sie“.
„Ja?“ Die Gärtnerin schaute ihn ängstlich an.
„Was ist hier eigentlich los? Warum tun hier immer alle so geheimnisvoll, wenn es um mich oder meinen Garten geht?“
Die verschreckte Gärtnerin schluckte und es sah fast aus, als hielt sie die Luft an, dann atmete sie tief ein und ihre Worte schossen aus ihr heraus wie aus einem Ballon, in den man eine Nadel gepiekst hatte. „Der Herr Pies ist tot und der Herr Hammers auch, und beide waren 1.Vorsitzende und beide hatten den gleichen Garten – wie Sie – u-u-und, früher sollen schon mal zwei Gärtner gestorben sein.“
Sie holte nochmals tief Luft. „Genau dort, in Ihrem Garten!“
Scheinbar über sich selbst oder das, was da gerade aus ihrem Mund herausgekommen war, erschrocken, senkte die Gärtnerin ihren Arm, mit dem sie soeben zum Garten des neuen Vorsitzenden gedeutet hatte.. So war das also. Deshalb war man so froh, einen nichts Ahnenden mit Garten samt Vereinsposten zu versehen. Ein um sich greifender Aberglaube hatte alle Einheimischen anscheinend davon abgehalten, den Unglücksgarten jemals mehr zu betreten.
„Und jetzt glauben alle, dass ich der Nächste bin?“
„Na ja, irgendetwas stimmt dort ja nicht.“ Die Gärtnerin zuckte resigniert mit den Schultern.
„Man sagt, jemand hätte den Boden vergiftet.“, sagte sie, ihre Stimme zu einem geheimnisvollen Flüsterton gesenkt.
„Und was sagt man sonst noch?“
„Na ja so einiges. Fragen Sie doch den alten Zahn, der scheint mehr darüber zu wissen.“
„Und wo finde ich den - alten Zahn?“
Die Gärtnerin zeigte eifrig zum Garten des alten Zahn, wie dieser Gärtner genannt wurde oder vielleicht sogar hieß.
„Der drittnächste Garten.“
„Okay, dann jäten Sie mal schön weiter und ich werde dem alten Zahn mal ordentlich auf den Zahn fühlen.“
Er kehrte ihr den Rücken zu, drehte sich aber nach einigen Metern noch einmal zu ihr um, und rief der schon wieder fleißig Unkraut rupfenden Gärtnerin zu:
„Schöne Ringelblumen haben Sie, alle stehen lassen, bitte“.
Die Gärtnerin blickte auf und nickte strahlend. „Ja, mache ich.“
„Herr Zahn?“
Wo war der alte Mann denn hin? Hatte er nicht gerade noch jemanden hier herum laufen gesehen?
Ein schnurgerader Betonplattenweg führte durch die gesamte Länge des Gartens, alles wuchs ordentlich in Reihen und Beeten, von Unkraut keine Spur.
Aha, ein lautes Fluchen erklang und kam wohl von der Rückseite der schmucken grüngestrichenen Gartenhütte Marke Eigenbau; gleich darauf kam ein kleiner alter Mann hinter ihr hervor und auf ihn zu gerannt.
„Laufen Schie, schnell, wenn die wütend schind, können die ganschön gefährlich werden.“
Zu spät entdeckte er die wild herum sausenden Insekten und ehe er begreifen konnte, hatte ihm eine von ihnen schon recht schmerzhaft in den Unterarm gestochen.
Der alte Zahn kam wieder aus seiner Hütte heraus und hielt ein Gerät mit einem langen Stiel in der Hand.
Zischsch... eine Stichflamme von über einem Meter Länge vertrieb die wild gewordenen Wespen im Nu und sie stoben in allen Richtungen davon.
„Was um Himmels Willen machen Sie denn da, Herr Zahn?“
Er hielt sich seinen Arm mit der schmerzenden Einstichstelle.
Der alte Zahn grinste und ein einzelner gelber Zahn, wie konnte es auch anders sein, blitzte aus seinem verwelkten Mund.
„Diesche Viecher, denen zeige ich schon noch, wer hier das Schagen hat. Jedes Jahr daschelbe Schpiel. Nicht mit mir!“, brabbelte er nuschelnd vor sich hin.
„Herr Zahn, bitte sagen Sie mir doch, was Sie über meinen Garten und meine Vorgänger wissen, die ja anscheinend beide gestorben sind. Aah, Mist, das tut vielleicht weh!“
„Ach, deschwegen schind schie gekommen. Ich kann Ihnen nur raten, verschwinden Schie, solange Schie noch können. Da liegt ein Fluch auf ihrem Garten. Ermordet haben schie die Beiden und gleich an Ort und Schtelle vergraben, da hinten.“ Er deutete in die Richtung des Unglücksgartens.
„Wer hat wen ermordet? Meine Vorgänger oder wie?“
„Ach, wasch wischen Schie denn. Im Krieg warsch, damalsch. Man hatte ja nischtsch. Ich hab' die schreien gehört, war hier in dieser Hütte, und dann gabsch schwei Schüsse und dann war Ruhe.“ Er senkte die Stimme, sprach nun langsamer und ganz ruhig.
„Esch war der Metzger mit seinem Schohn. Die habe ich scheit dem Tag nicht mehr hier geschehen. Die hatten Geld, viel Geld. Das haben schie auch alles dort vergraben.“


~


Seine Hand zitterte leicht, als er das Tablett mit seinem Mittagessen auf den Tisch stellte. Lag es daran, dass er gerade mit einer Gartenfirma telefoniert hatte und ihnen klar machen musste, dass sie seinen Garten umpflügen sollten, ja, jetzt mitten im Sommer, mindestens einen Meter tief, oder daran, dass sein Arm nach dem Stich der Wespe dick angeschwollen war und er wohl damit zum Arzt gehen musste?
Oder war seine reizende Kollegin Schuld daran, die an genau diesem Tisch hier saß? Mit zwei anderen Kollegen, aber sie saß dort und er schaute betreten auf seinen Teller.
Schüchternheit konnte so grausam sein! Vor allem, wenn die zwei Kollegen plötzlich aufstanden und „Tschüss, bis später dann“, sagten. Panik stieg in ihm hoch, doch lächelte Sie einfach und begann dann mit freundlicher Stimme zu reden. Einfach so, ohne jede Vorankündigung und ehe er sich einen Plan zur Flucht ausdenken konnte.
Ein wenig SmallTalk. Er schaute sie an, ihren wunderschönen Mund mit den vollen Lippen, während sie sprach. Sie fragte ihn, ob er neu zugezogen wäre und in welcher Abteilung er arbeitete.
Und dann war alles ganz einfach.
„Sie wohnen am Hagelkreuz, gleich neben den Schrebergärten? Ich meine, Sie dort letztens am Fenster gesehen zu haben.“
„Ja, das war ich, tatsächlich. Gute Augen haben Sie und eine Menge Mut.“
„Mut? Wieso?“
„Na, seit dem Tod des letzten Gärtners dort, herrscht ja eine schöne Unruhe im Dorf.“
Sie lächelte ihn schon wieder an. Einfach zauberhaft!
Das war ja wirklich einfach. Man pachtete einen Garten im Dorf und schon war man ein Held und die Frauen lagen einem zu Füßen.
Ihr Lächeln, aus dem so viel Wärme herausstrahlte, löste seine Anspannung. Er fing einfach an zu reden und erzählte ihr alles.
Von seiner Wahl zum 1.Vorsitzenden, von den wunderschönen Blumen und Bienen in seinem Garten und den zauberhaften Libellen, von chronisch lächelnden und fleißig jätenden Gärtnerinnen, von geschwätzigen Hecken und vergiftetem Gemüse und von seinem Plan, wie er der ganzen Gartengemeinde endlich Vernunft beibringen könnte, wie er der Wahrheit endlich ans Licht verhelfen wollte. Und er fragte sie, ob sie auch kommen würde, zum Tag der Offenen Tür, in die Kleingartenanlage, am übernächsten Samstag. Sie hätte es ja nicht weit. „Ja“, sagte sie und dann verabredeten sie sich auch noch für nächsten Dienstag zum Eisessen..

~


Diese Aktion hatte seine sämtlichen Ersparnisse geschluckt, aber nun war der ganze Garten bedeckt von fein krümeliger Erde und sie hatten weder einen Schatz noch irgendwelche verwesten Menschenteile gefunden. Nur ein paar Tierknochen, welche die Landschaftsgärtner auf einem kleinen Haufen zusammen warfen.
Die zwei hatten auch noch einen diebischen Spaß dabei.
Eine Horde Jugendlicher, die sich außerhalb des Zaunes versammelt hatte, grölte jedes Mal und zählte laut mit, wenn wieder ein Knochen im hohen Bogen angeflogen kam. Zu den Lieblingsspeisen seiner Gartenvorgänger hatte jedenfalls Eisbein gehört, vermutlich mit Sauerkraut und Püree, denn das aß man hier im Rheinland besonders gern.
Ohnmächtig musste er dann noch mit ansehen, wie einige kleine Kinder mit ihren Fingerchen immer wieder aufgeregt auf diesen Knochen-Hügel zeigten, in ihren kleinen Gesichtern erkannte er blankes Entsetzen.
Zwar hatte er nun weder Blumen noch Gemüse mehr in seinem Garten, dafür hatten sich umso mehr Menschen eingefunden, um dieser ungewöhnlichen Aktion beizuwohnen. Ihre Gesichter hatten sie an den Maschendrahtzaun gepresst, Väter mit Kleinkindern auf den Schultern, Alte, Junge, es schien, als wäre das halbe Dorf zusammen gekommen.
„Wonach suchen die?“
„Stimmt es also doch mit den erschossenen Flüchtlingen, dachte ich's mir doch“
„Der arme Mann, der Garten wird ihm kein Glück bringen“
„Hier ist alles verseucht, glaubt es mir“
„Er ist der nächste, der dran ist!“


~


Die schwarzgekleidete Frau sprach immer leiser, denn nun kam sie zum wichtigsten Punkt ihrer Rede. Woran war ihr Mann Paul denn nun gestorben?
„Schlaftabletten“, sagte sie. „Eine Überdosis – es war ihm alles zuviel geworden. Der Vorsitz im Verein, sein Job als Buchhalter, Ärger mit Nachbarn, Ärger im Büro...“
„Aber warum um Himmels Willen erzählen denn alle hier im Dorf diese verrückten Dinge. Die Gerüchteküche brodelt, Frau Hammers!“
„Ach ja, die Gerüchte. Ich kenne es nicht anders. Auch das hat meinen Paul kaputt gemacht. Dieses ewige Gerede von den zwei Leichen, von vergrabenen Schätzen in seinem Garten und von vergiftetem Gemüse .“ Sie seufzte heftig. „Ja, eines Nachts war der ganze Garten durchwühlt worden. Kein Radieschen und kein Kohlkopf war mehr an Ort und Stelle. Stellen Sie sich die Aufregung vor am nächsten Tag.“
Ja, das konnte er sich gut vorstellen.
Diese Wühlaktion, -wahrscheinlich ein Dummer-Jungen-Streich-, wird das ganze Dorf nur zu neuen Spekulationen hingerissen haben.
„Und ist denn gar nichts dran an der ganzen Geschichte?“
„Doch doch, die zwei Männer sind wirklich verschwunden an dem Tag. Schüsse sind wohl auch gefallen, aber dass man sie in ihrem eigenen Garten vergraben hat, diese ganze Sache hat die alte Frau Schmitter wohl in die Welt gesetzt.“
Sie machte eine Bewegung mit der Hand vor ihrem Gesicht, als Zeichen für geistige Verwirrtheit, die sie bei der alten Frau vermutete.
„Und Herr Pies?“
„Ach der..., eine ganz arme Kreatur war das. Geraucht und gesoffen hat der, dass es nicht mehr auszuhalten war. Wie sollte er da alt werden?“
Ja, das war wirklich einleuchtend und er wusste schon, wem er auf dem Rückweg einen Besuch abstatten würde…

„Meine liebe Frau Schmitter, darf ich Sie höchstpersönlich zu unserem Tag der Offenen Tür am Samstag einladen?“
Feierlich überreichte er der alten Frau das Infoblatt, welches er auf seinem Computer entworfen und anschließend zum Aushang an Geschäfte verteilt oder an Laternenpfähle geheftet hatte.
„Sie sind sozusagen einer der Ehrengäste.“
Die alte Frau nahm das lose Blatt verdutzt an sich und sagte dann krächzend ihr Sprüchlein auf:
„Gehen Sie fort von hier. Geben Sie den Garten ab, sonst ist es aus mit Ihnen, wie mit all' den anderen.“
Sie machte wieder diese wegwerfende Bewegung mit der Hand und schloss dann die Tür hinter sich zu.

~



Verzweifelt nach Luft ringend lag er am Boden, sein Gesicht war rot und angequollen. Einige klopften ihm auf den Rücken, andere versuchten es mit Wasser, welches sie ihm einflößten. Kinder weinten und Frauen schrieen wild durcheinander.
“Einen Arzt, schnell!“
Er wusste selbst nicht, warum er das getan, warum er nach ihr geschlagen hatte!
Und dabei lief doch zunächst alles nach Plan. Er hatte seine Ansprache gehalten, hatte eigens hierfür ein kleines Podest auf der braunen krümeligen Erde seines Gartens aufgestellt, damit auch wirklich alle ihn sehen konnten. Damit auch keiner verpassen würde, was er Ihnen allen zu sagen hatte. Ihnen endlich beweisen konnte, wozu dieser irre Aberglaube geführt hatte und die Mitbürger des Kölner Stadtteils über die Realität, so wie sie sich ihm offenbart hatte, aufklären konnte. „Liebe Kleingärtner, liebe Anwohner, liebe Frau Schmitter! –
Vor vielen Jahren ist hier auf diesem Stück Erde ein grässliches Verbrechen geschehen. Zwei Männer aus dem Dorf, ehrenwerte, angesehene Mitglieder der Gemeinschaft, Kleingärtner wie Sie und ich, wurden vermutlich ermordet, aber wir wissen es nicht, da sie spurlos verschwanden und ihr Schicksal niemals ganz geklärt werden konnte.“
Ein Raunen und Murmeln war durch die Menge gegangen, einige hatten bestätigend genickt.
„Herr Pies starb an einer ebenso rätselhaften Darmerkrankung, die entgegen der Befürchtungen einiger, er hätte womöglich vergiftetes Gemüse verzehrt, doch eher auf eigenem Fehlverhalten begründet war.“
Einige hatten seine Worte mit Pfiffen quittiert.
„Was redet der denn da?“
„Der ist vergiftet worden, das wissen wir doch alle“
„Der Kohl war's“
„Unsinn, es waren die Tomaten!“
Eine kleine alte Frau hatte sich aus der Menge gelöst und war dann auf sein Podest zugegangen.
„Gehen Sie fort, verschwinden Sie! Das Gemüse hier ist schlecht, taugt nichts. Alles vergiftet, hören Sie.“
Mit einer schwungvollen Wegwerfbewegung schleuderte sie ihren Arm nach vorne.
„Liebe Frau Schmitter, ich darf hier das Ergebnis einer Bodenanalyse verlesen, dass ich von der Erde dieses Gartens hier, habe machen lassen.“
“Das wird Ihnen auch nicht mehr helfen“, hatte die Alte daraufhin gekrächzt.
Er hatte den Bogen Papier gerade entfaltet und zu lesen angefangen, da hatte ein Kind zu schreien begonnen, eine Frau hatte mit einem lauten Kreischen mit eingestimmt. In Windeseile hatte sich Panik unter der zahlreich versammelten Menge verbreitet.
„Hilfe! Lauft! Die greifen uns an!“
Wäre er doch mit den anderen weggerannt, und wäre er doch beim Arzt gewesen, so hätte dieser eine Allergie gegen Insektenstiche diagnostiziert, die nun unerkannt geblieben war, bis zu dem Augenblick, als er zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen gestochen wurde. Der alte Zahn war ganz plötzlich mit seinem Flammenwerfer erschienen und wie durch ein Wunder ist niemand von ihm verletzt worden.
- Nun war sein Hals wie zugeschnürt und fühlte sich dick angeschwollen und taub an. Jemand hielt seine Hand.
Er blickte in ein wunderschönes Gesicht mit zauberhaften Augen.
Er hätte sie gerne angelächelt, doch krümmte sich sein Körper vor Atemnot.
Hundert entsetzte Augen hatten sich über ihn gebeugt. Unter größter Anstrengung brachte er seine letzten Worte hervor:
„Es war.. - doch nur - ..ei-eine ganz ... - nor-male – Wespe...“
Die alte Frau Schmitter schüttelte nur den Kopf, machte bereits zum zweiten mal an diesem Tag ihre wegwerfende Handbewegung, bevor sie sich auf den Nachhauseweg machte und man fragte sich, ob sie ihre alten Glieder überhaupt noch unter Kontrolle hatte. -

Was für ein sinnloser Tod , dachte sie und setzte sich an ihren Computer. Sie würde diese Sache in seinem Sinne zu Ende führen müssen, diesem wahnsinnigen Aberglauben unter den Leuten hier endlich ein Ende bereiten.
„Das verspreche ich dir“, sagte sie leise.
Hatte der Prozess des Umdenkens am Ende schon begonnen, oder wie sollte sie das Verhalten einiger Trauergäste während der Beerdigung deuten?
Da war der alte Zahn, der, statt einer Schaufel Erde, demonstrativ seinen Flammenwerfer hinunter ins Grab geworfen hatte.
Andere reagierten gereizt mit einer wegwerfenden Handbewegung, als die alte Frau Schmitter wieder damit anfing, ihre düsteren Prophezeiungen herunter zu beten und hinderten sie damit recht energisch am Weiterreden.
Ihr hübsches Gesicht bekam einen zuversichtlichen Ausdruck und sie tippte entschlossen die ersten Zeilen in ihre Tastatur:
„Es hatte ihn schon sehr gewundert, dass man gerade ihn, den neu Zugezogenen, so vielstimmig in den Vorstand gewählt hatte...“

 

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