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Waldfrüchtchen, Teil 2

 

von Sofie Meys

 

Lehmwand

„Hier in der Nähe gibt es eine Höhle“ schaltete sich Carolin ein. „Wir haben sie entdeckt, als wir den Rehen nachgelaufen sind. Sie ist gleich da vorne.“
„Nun kommen Sie , Herr Gärtner. Wir können uns die Höhle doch einmal anschauen. Dort können wir uns vielleicht ein Feuer machen.“
Schon machten sich die Kinder auf den Weg zu besagter Höhle.
Natascha strahlte übers ganze Gesicht. Was gab es schöneres, als gemeinsam mit Papi, ihrer besten Freundin und deren Mutter ein Abenteuer zu erleben?
Herrn Gärtner blieb nichts anderes übrig, als den Kindern ebenfalls zu folgen.
Nach einem kurzen Marsch über einen felsigen und noch dazu dunklen Pfad mit jeder Menge Geröll, bei dem er mit seinem viel zu glatt besohlten Schuhwerk immer wieder ausrutschte und sich zwischen Felsspalten einklemmte, waren sie schließlich am Ziel. Die Höhle war eigentlich nur eine Vertiefung im Felsen von vielleicht 4 Metern Tiefe und ebenso breit. Wenigstens  war man hier geschützt, falls es regnen sollte.
Frau Wenzel fing an, trockenes Holz zu sammeln, was im Dunkeln gar nicht so einfach war.
Zum Glück strahlte der Mond inzwischen vom wolkenlosen Himmel und spendete ein mildes Licht. Die Kinder halfen eifrig beim Sammeln, bis sie einen ansehnlichen Berg aus trockenen Ästen und Zweigen zusammen getragen hatten.
Klaus Gärtner saß derweil apathisch auf einem Stein. Seine Füße taten ihm verteufelt weh und er hatte sich noch nicht vollends damit abgefunden, die Nacht hier in dieser einsamen Schlucht zu verbringen, unter freiem Himmel, meilenweit entfernt von jeder Zivilisation, vermutlich umgeben von Wölfen und Braunbären, denen es womöglich gerade heute Nacht einfiel aus dem nahe gelegenen Tschechien einen Abstecher ins schöne Bayern zu unternehmen.
Frau Wenzel schichtete das Holz aufeinander und versuchte mit einem Streichholz ein Feuer zu entfachen, was ihr jedoch nicht so recht gelang.
Herr Gärtner sah ihr eine Weile teilnahmslos dabei zu, dann sagte er fast wie in Trance: „Geben Sie mal her.“
Sie gab ihm die Streichhölzer. Er nahm die Hölzer an sich. Dann schichtete er das Holz neu auf, so dass es wie ein kleines Zelt aussah.
„Haben Sie etwas Papier?“ fragte er.
Frau Wenzel kramte eine Weile in ihrem Rucksack  und holte dann einen Prospekt heraus.
„Ferien in Waldkirchen, Bayrischer Wald“ stand darauf.
„Hier, nehmen Sie das“ Sie reichte ihm den Prospekt.
Er riss einige Seiten davon ab und zerknüllte sie. Dann legte er sie unter das aufgeschichtete Holz und entzündete sie. Im Nu wurde die Höhle und die kleine Wiese davor vom Feuerschein erhellt.
Frau Wenzel hatte zugeschaut, und gesehen, wie ruhig und geschickt seine Bewegungen waren.
„Das haben Sie aber sicher schon öfter gemacht“ sagte sie. Er schaute durch die Flammen zu ihr hinüber.
„Ich war als Junge bei den Pfadfindern“,
Nachdenklich schaute er in die kleine Runde, die sich um das wärmende Feuer versammelt hatte.  Natascha hatte sich inzwischen ganz dicht bei ihm angeschmiegt. Sie sah zufrieden und glücklich aus. Mein Gott,  dachte er. Was soll’s. Wir werden das überstehen und morgen… gleich morgen früh beim ersten Lichtstrahl wandern wir zurück und ich setze mich in meinen BMW. .. und ab geht’s. Ich werde diesen Gott verdammten Wald nie wieder sehen.
Er bemerkte, dass Frau Wenzel immer noch gebannt auf ihn schaute, ach ja, die Pfadfinder. Anscheinend hoffte sie, dass er mehr darüber erzählte.
Er schüttelte in einer Geste der Ungläubigkeit den Kopf über sich selbst und konnte sich dabei ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Der ganze Tag fiel ihm mit einem Schlag wieder ein.
„Heute Nachmittag habe ich mich wohl ziemlich dämlich angestellt.“ sagte er verlegen.
„Nein, wirklich nicht“ erwiderte Frau Wenzel.
Sie fing daraufhin an, allerhand Essbares aus ihrem Rucksack hervorzuholen. Belegte Brote, gekochte Eier, Äpfel.. und legte alles auf einen großen Stein in der Nähe des Feuers.
Verstohlen blickte sie dabei immer wieder zu ihrem gut aussehenden Nachbarn hinüber. Seine dunkelblonden Haare, die sonst immer perfekt frisiert waren, standen strubbelig in allen Richtungen vom Kopf ab. Auf seinem Gesicht fanden sich Spuren von Erde und Ruß. Das warme Licht des Feuerscheins machte seine männlichen Züge weicher, fast jungenhaft. Er gefiel ihr so noch besser als sowieso schon. Richtig verwegen sah er aus, ‘Wie ein Abenteurer’ dachte sie.
Außerdem meinte sie erkennen zu können, dass er sich zunehmend entspannte. Vermutlich hatte er sich mit dieser für ihn so misslichen  Lage inzwischen abgefunden.
Ganz lässig, den Kopf auf eine Hand gestützt, lag er auf der Seite und schaute ins Feuer. Die nagelneue Matratze mit Selbst-Aufblase-Mechanismus hatte Frau Wenzel kurz zuvor aus ihrem gigantischen Rucksack gezaubert.

Himbeeren


Das Feuer verbreitete  inzwischen eine wohlige Wärme. Die Kinder saßen direkt neben ihm, dicht beieinander. Sie schienen sich zu freuen, dass er da war. Das wunderte ihn fast am meisten, wo er doch den ganzen Tag über mit schlechter Laune geglänzt hatte. Carolins Mutter hatte den beiden eine kleine Picknickdecke um die Schultern gelegt, die sie ebenfalls in ihrem Rucksack verstaut hatte. Sie saß auf der anderen Seite des Feuers. Allein.
Amüsiert schaute er zu ihr hinüber. „Verhungern brauchen wir also nicht“ sagte er.
„Nein, zum Glück habe ich reichlich Verpflegung mitgenommen.“ Sie reichte die belegten Brote herum und verteilte anschließend Plastikbecher mit Apfelsaft.
„Gut, dass es noch so mild ist. Meistens ist es um diese Jahreszeit schon viel kälter hier.“ sagte sie.
„Waren Sie schon öfter hier in dieser Gegend?“ fragte Herr Gärtner.
„Ja, schon einige Male.
 - Wann müssen Sie wieder bei ihrer Fortbildung sein?“ wechselte sie das Thema.
„Erst übermorgen.“                                              
Sie schwiegen beide. Die Kinder flüsterten sich etwas ins Ohr. Natascha stand auf. „Wir müssen mal“ sagte sie.
„Oh, geht doch einfach da hinter den Busch“ schlug Frau Wenzel vor.
Die beiden verschwanden im Gestrüpp und man hörte sie kichern. Herr Gärtner lachte.
„Vor Tausenden von Jahren haben hier in dieser Höhle vermutlich unsere Vorfahren Unterschlupf gesucht. Jetzt weiß ich endlich, wie sie sich gefühlt haben.“ Sie mussten beide lachen. Die Kinder kamen zurück.
„Wir sind so müde“ sagte Carolin. „Wo können wir denn schlafen?“
Frau Wenzel richtete ihnen ein Lager auf der weichen, moosigen Wiese vor der Höhle. Sie breitete die kleine Picknickdecke auf die quer gelegte Matratze aus. Als Kopfkissen legte sie die kleinen Rucksäcke der Kinder zurecht und als Zudecke deren gefütterte Wetterjacken , die sie ebenfalls vorsorglich eingepackt hatte. Die Kinder waren damit von unten und oben vor der Kälte geschützt. Sie kuschelten sich zufrieden  in ihre Jacken. Carolin begann leise flüsternd, eine spannende Bärengeschichte zum Besten zu geben. Natascha lauschte konzentriert.
Frau Wenzel schenkte ihnen beiden noch etwas Apfelsaft nach, dann saßen sie wieder schweigend da.
Herr Gärtner schaute durch die Flammen zu der sonderbaren Frau mit den langen braunen Locken herüber. Er musterte sie. Sie hatte ein volles, rundes Gesicht, mit einer niedlichen Stupsnase und einigen Sommersprossen. Das war ihm nie aufgefallen, dass sie Sommersprossen hatte. Er fragte sich, ob sie attraktiver wäre, wenn sie die Haare straff mit einem Haargummi zurück band. Aber würde das ihr Gesicht nicht noch runder machen?
An dieser Frau konnte er eigentlich gar nichts erkennen, was ihm gefiel. Sie passte so gar nicht in sein auf Frauen passendes ‚Beuteschema’.. Zu klein, zu mollig, zu brav, zu besserwisserisch, zu wenig Feuer…
Es machte sie nervös, dass er sie so ungeniert betrachtete. Womöglich war ihr Gesicht dreckverschmiert, in ihren Locken hatten sich bestimmt etliche Blätter, Äste oder ähnliches verfangen. Mit Sicherheit machte er sich gerade innerlich über sie lustig.
Sie fuhr sich mit den Händen in die Haare, so als wollte sie ihre Frisur richten, was natürlich völlig zwecklos gewesen wäre. Dann strich sie sich nervös über ihr Gesicht.
„Sie sind völlig in Ordnung“ sagte er. „Sie machen das wirklich gut mit den Kindern.“
Frau Wenzel spürte, wie Röte in ihr Gesicht schoss. Bisher war er immer sehr unfreundlich zu ihr gewesen, zu Unrecht, wie sie fand. Aber trotzdem, seine plötzliche Freundlichkeit, sein Lächeln, verwirrten sie.
Seit Richards Tod lebte sie alleine, hatte sich bewusst zurückgezogen. Als dann vor einem halben Jahr Herr Gärtner mit Natascha neben ihnen eingezogen war , hatte sie die schlimmste Zeit schon überstanden. Er hatte ihr auf Anhieb gefallen. Sein Lächeln, die hilflose Art, wie er mit seiner Tochter umging, sogar seine schroffe Art ihr gegenüber gefielen ihr. Das bewies ihr, dass er ein ehrlicher Mensch war, der sich nur ungern verstellte. Doch schien er ja in festen Händen zu sein, wenn diese Hände auch des Öfteren wechselten, wie sie bald feststellen musste.
Herr Gärtner bemerkte ihre Unsicherheit und merkwürdigerweise beruhigte ihn das. Vielleicht lag es auch daran, dass Carolin inzwischen eingeschlafen war. Die Kleine hatte  es schon mehrfach geschafft, ihn aus der Reserve zu locken. Im Grunde fürchtete er sich davor, von einem kleinen vorlauten Mädchen  vor anderen bloßgestellt zu werden. Er empfand dies als außerordentlich erniedrigend und es stellte sich dabei ein Gefühl von Ohnmacht ein, bei dem er absolut nicht mehr wusste, wie er sich verhalten sollte.
„Sie müssen jetzt auch etwas schlafen“ sagte er , „Ich werde  solange das Feuer bewachen. Sie können mich ja später ablösen.“
„Okay,- aber bitte wecken Sie mich. Sie brauchen auch etwas Schlaf. Schließlich haben Sie morgen noch eine lange Autofahrt vor sich.“
„Ja, gut. Legen Sie sich jetzt schlafen, Frau Wenzel“ sagte er, wobei er  ‘Frau Wenzel’ besonders betonte und dabei amüsiert grinste.
„Ich heiße Brigitte“ sagte diese schnell und war anscheinend ganz überrascht über  sich selber Auf ihren Wangen breitete sich schon wieder ein intensiver Rotton aus.
Erstaunt blickte er sie an. Dann stand er auf, griff nach zwei Plastikbechern und holte die angebrochene Tüte mit Apfelsaft. Er schüttete in jeden Becher etwas Apfelsaft und reichte ihr einen davon.
„Wenn schon, dann richtig“ sagte er. „Mein Name ist Klaus.“ Sie tranken jeder einen Schluck, dann beugte er sich zu ihr vor und gab ihr vorsichtig einen Kuss auf den Mund.
Er lächelte sie an und sagte: “Geh jetzt schlafen.“
Gehorsam, fast wie hypnotisiert, begab sich Brigitte zum Lager der Kinder. So, wie sie war, legte sie sich neben Natascha, ihren eigenen Rucksack als Kopfkissen benutzend. Jetzt war die Kleine von beiden Seiten gut gewärmt.
Das Feuer verbreitete wohlige Wärme. Noch eine ganze Weile lag sie wach da. In ihrem Kopf drehte sich alles. Wenn sie nicht genau wüsste, dass sie nur Apfelsaft getrunken hatte, würde sie meinen, sie wäre vollkommen betrunken. Es kam ihr alles wie ein Traum vor. Die Wanderung, die Schlucht, das Lagerfeuer, die Dunkelheit, dieser ungeheuer attraktive Mann, der sie gerade geküsst hatte..Sie wusste eine Zeitlang nicht, ob sie schon schlief oder noch wach war, bis sie schließlich doch noch in einen unruhigen Schlaf fiel, aus dem sie jedoch schon bald wieder erwachte. Auf dem harten Boden konnte man unmöglich lange liegen. Die Kinder hatten es da viel besser auf der Matratze und wogen auch wesentlich weniger.
Sie musste sich erst orientieren, wo sie sich befand. Dann sah sie Klaus Gärtner am Feuer sitzen. Klaus. Hatten sie  wirklich ihr ‚Du’ mit einem Kuss bei einem Becher Apfelsaft besiegelt? Oder hatte sie alles nur geträumt? Sie richtete sich auf. Im Feuer lag ein riesiger Baumklotz, der schon an einer Seite rot glühte. Hatte Klaus ihn gefunden und ins Feuer gelegt? Wie spät mochte es sein? Sie stand auf und ging um das Feuer herum.
„Ich werde Sie jetzt ablösen“ sagte sie. „Sie?“ fragte er erstaunt.
Sie hatte es also nicht geträumt!
„Entschuldige“ sagte sie daraufhin. „Du kannst jetzt schlafen und ich bewache das Feuer.“
„Gut“ Er musterte sie kurz. Ihre langen lockigen Haare waren vom Liegen ganz durcheinander geraten und umrahmten ihr Gesicht großzügig, verschlafen blickte sie an ihm vorbei in die Flammen. Auch wenn Brigitte vollständig bekleidet vor ihm stand, so hatte die Situation etwas Intimes. Er stand auf und ging auf die andere Seite des Feuers, legte sich dort dicht neben seine Tochter, wo Brigitte kurz zuvor gelegen hatte. Der Boden war noch warm von ihrem Körper. Sogleich durchströmte ihn ein wohliges Gefühl, eine zutiefst ersehnte Geborgenheit, von der man doch im Grunde wusste, dass man sie längst verloren hatte und dass man sie niemals wieder würde finden können. Diese Empfindung erschreckte und beglückte ihn zugleich.
Er musste verrückt geworden sein. Frau Wenzel, ach was, sie hieß Brigitte, sie musste ihn verhext haben. Ja, ganz sicher, war sie eine böse Hexe, eine sehr böse Hexe. Doch musste er zugeben, dass es sich  im Grunde genommen gar nicht mal so übel anfühlte, verhext zu werden. Es war fast so, als hätte jemand eine riesige Last von seinen Schultern genommen, als hätte er zurückgefunden an einen Ort, nach dem er sich seit langer Zeit gesehnt hatte. War er dabei, durchzudrehen? Ob es an der dünnen Bergluft lag? Bekamen die Menschen nicht regelmäßig einen Höhenkoller, wenn sie sich in den Bergen aufhielten. Er hatte allerdings keine Ahnung, ob der bayrische Wald überhaupt hoch genug lag, um eine Art Höhenrausch auszulösen.

Fliegenpilz


Er begann schläfrig zu werden, sein Bewusstsein ebenfalls. Ein Dämmerzustand stellte sich ein, schien alles um ihn herum aufzulösen. Gedanken drängten sich ihm auf, Gedanken, die etwas in ihm anrührten, und ihn angenehm umhüllten. Er sah Frau Wenzel, seine Nachbarin, die er nun Brigitte nennen musste, wie sie sich neben ihn legte, und er ihren warmen weichen Körper spürte. Das fühlte sich so ungewohnt an, so unendlich weich und sinnlich.
Sie hatte ihren Zauberstab dabei, berührte ihn damit. Er fühlte sich wie berauscht durch ihre Berührung.
Jetzt versetzte sie ihm einen etwas heftigeren Hieb mit dem Stab und es durchzuckte ihn wohlig.
Mit einem Schlag wusste er, dass mit dieser Frau einfach alles möglich war und alles mit ihr war einfach nur wunderbar.
Urplötzlich wurde er aus dem Dämmerzustand herauskatapultiert. Oh mein Gott, was waren das für Gedanken. Wo kamen diese merkwürdigen Gefühle her? Sie wollten einfach nicht verschwinden. Schlimmer noch, spürte er, wie sie ihn zu allem Überfluss auch noch erregt hatten.
Brigitte hatte ihm irgendetwas in den Apfelsaft getan, etwas, das ihn willenlos machte….
Doch wollten die Gedanken einfach nicht verschwinden. Oder wollte er nicht, dass sie ihn verließen? Die ganze Situation, in der er sich gerade befand, musste Schuld daran sein. Die frische Luft, die Einsamkeit des Waldes, das Lagerfeuer… Trotz seiner großen Müdigkeit konnte er nicht schlafen. Wilde Fantasien  bemächtigten sich seiner. Er stellte sich vor, wie er die Hexe namens Brigitte packte, sie, die ihn den ganzen Tag mit ihren unsäglichen Vorträgen über Pflanzen und Tiere gequält hatte, und die jetzt schweigen musste. Weil er es so wollte und sie ihm gehorchen musste. Er machte sie zu seiner willigen Sexsklavin und sie sträubte sich nicht und ließ ihn gewähren, stand ihm gehorsam zu Diensten, splitternackt und voller Wollust. Er stöhnte leise auf, und ließ sie geschehen, diese Gedanken… später, sehr viel später fiel er doch noch in einen tiefen und festen Schlaf.

Als Klaus am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel.
Ihm taten alle Knochen weh. Endlich begriff er, wo er sich befand, richtete sich abrupt auf und blickte sich suchend um. Wo waren die Kinder und wo war...Brigitte? Er musste an seine Träumerei von letzter Nacht denken, die sogleich erotische Gefühle in ihm weckte. Oh nein, dachte er. Nicht schon wieder! Wie konnte er sich nur so einlullen lassen von dieser kleinen pummeligen und so wenig attraktiven Wald-und-Wiesen-Hexe..
Das Feuer war inzwischen herunter gebrannt. Er stand auf und schaute sich um. Der Hang, der sich oberhalb der Höhle befand, wurde schon von der Morgensonne erfasst. Im gleißenden Licht wuchsen einige kümmerliche Sträucher, dazwischen lagen überall Geröll und einige einzelne große Felsbrocken. Zwischen nacktem Fels bildeten Steingewächse dichte Polster. Am Grunde der Schlucht konnten sich einige Sträucher üppiger entwickeln, sogar einige wenige Bäume  hatten es geschafft, hier Wurzel zu fassen.
Er horchte in die Stille und vernahm Kinderstimmen. ’Dann können wir ja bald aufbrechen’  dachte er.  Sie hatten noch ein ganzes Stück Weg vor sich. Unbehaglich inspizierte er seine einst so schicken Lederschuhe. Ob er die zerkratzten Dinger zuhause noch tragen konnte? Allenfalls noch zur Gartenarbeit. Und Schuld daran ist.. na wer schon, ihm fielen keine neuen Titulierungen mehr für seine Nachbarin ein, mit der er sich zu allem Überfluss nun auch noch duzte.
Er ging zur Feuerstelle, warf etwas Erde hinein , und trat den letzten Rest von Glut gründlich aus. Das war vermutlich das endgültige Aus für seine Schuhe; erst letzte Woche hatte er sie für einen beachtlichen Preis gekauft.
Die Kinderstimmen wurden lauter und im nächsten  Moment kamen die beiden Mädchen um ein Haselnussgestrüpp herum auf ihn zu gelaufen.
„Papi, endlich bist du wach.“ rief Natascha. Sie strahlte übers ganze Gesicht, und dafür, dass sie gerade eine Nacht unter freiem Himmel verbracht hatte, sah sie ganz manierlich aus. Ihre langen dunklen Haare waren frisch gekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Ihr schmales Gesicht sah frisch und sauber aus. Carolin stand hinter ihr. Auch sie sah frisch gewaschen und ordentlich gekleidet aus. Ihr  blondes, schulterlanges Haar war sorgfältig gekämmt worden. Endlich kam auch Brigitte hinter den Sträuchern hervor. Sie hatte eine große Butterbrotdose in der Hand.
„Guten Morgen“ sagte sie.
„Guten Morgen“
Er schaute sie mit einer Mischung aus Neugierde und Hilflosigkeit an, wartete auf eine Reaktion von ihrer Seite aus.  Hatte sich nicht gestern  Abend auf völlig unerklärliche Weise etwas angebahnt zwischen ihnen? Normalerweise ließ ihn sein Instinkt bei solchen Angelegenheiten nicht im Stich.
Brigitte jedenfalls ließ sich nichts anmerken.

Beeren


„Wir haben Beeren gepflückt und Nüsse gesammelt. Davon gibt es hier wirklich reichlich“. Sie stellte die Butterbrotdose auf den großen Stein in der Mitte ihres Lagers.
 „Es ist alles abgewaschen. Greift zu.“ sagte sie.
„Was sind denn das für Beeren?“ fragte Klaus skeptisch.
„Heidelbeeren und Brombeeren“ Zögernd probierte er eine. „Nicht schlecht.“
Er wandte sich an Carolin, die neben ihm saß. „Wenn man deine Mutter dabeihat, braucht man sich um die Verpflegung keine Sorgen zu machen.“ Carolin nickte zustimmend. “Wir haben aber auch beim Pflücken geholfen“ sagte sie dann.
Alle lachten. Seine innere Rastlosigkeit schwand und es schien fast so, als begann der Zauber des gestrigen Abends sich zu erneuern, als zog ihn diese geheimnisvolle Spannung erneut in ihren Bann. Er  nahm sich noch einige Beeren. Dann schaute er zu Brigitte, seiner so grässlichen Nachbarin, für die er bisher nichts als Verachtung empfunden hatte. Er sah sie gelöst mit den Kindern lachen. Das sollte sie viel öfters tun, dachte er. So herzlich lachen. Er hatte noch nie jemanden mit so schönen Zähnen gesehen. Mit ihrer Stupsnase und den Sommersprossen hatte sie etwas Lausbübisches an sich. Warum war ihm das bisher noch nie aufgefallen? Er fragte sich, wie alt sie wohl war. Vermutlich zwei oder drei Jahre älter als er. Er stand normalerweise auf Frauen, die wesentlich jünger  waren.
Die Sonne hatte inzwischen auch die kleine Wiese vor der Höhle erreicht. Sie saßen im Kreis um den großen Stein herum und ließen sich von den Sonnenstrahlen wärmen. Keiner schien daran interessiert zu sein, aufzubrechen. Also ließen sie sich weiterhin die Beeren schmecken und knackten Nüsse.
Klaus bemerkte, dass auch Brigitte frisch gewaschen aussah und auch ihre dunklen Locken sahen einigermaßen geordnet aus. Sie hatte sie mit einer großen Spange im Nacken locker zusammen gefasst und tatsächlich stand ihr das viel besser zu Gesicht als der wuschelige ‚Afro-Look’. Seine Befürchtung, ihr rundliches Gesicht könnte dadurch noch runder werden, hatte sich nicht bewahrheitet.
Der einzige, der hier einen völlig verwahrlosten Eindruck machen musste, war wohl nur er selber. Der Gedanke erheiterte ihn und er schüttelte grinsend über sich selber den Kopf.
„Sagt mal, ihr seht alle so sauber gewaschen aus. Gibt es hier irgendwo frisches Wasser?“
Brigitte lachte. „Am anderen Ende der Schlucht sind einige Vertiefungen im Fels, in denen sich Regenwasser gesammelt hat. In den letzten Wochen hat es ja reichlich geregnet.“
„Ich glaube nicht, dass ich da alleine hinfinde“, sagte Klaus mit verschwörerischem Blick und einem Augenzwinkern.
„Es wäre schön, wenn du mich begleitest... Brigitte.“
Die Kinder guckten sich verdutzt an. Seit wann nannte Nataschas Vater Carolins Mutter Brigitte?
Klaus und Brigitte erhoben sich gleichzeitig und sie waren schon beim Haselnussgestrüpp, als Klaus sich umdrehte und den Kindern „Nicht weglaufen“ zurief. Er sah gerade noch aus dem Augenwinkel, dass Carolin Natascha am Ärmel festhielt, als diese ihrem Vater und Brigitte hinterherlaufen wollte.
Brigitte hatte ihre gelbe Jacke ausgezogen und trug über einer beigefarbenen Baumwollhose einen engsitzenden weißen Rolli. Von Altkleidersammlung keine Spur mehr. Er hatte sie immer für mollig gehalten, sah aber nun, dass sie zwar kräftige Hüften hatte, aber eine schöne schlanke Taille. Dieser Anblick löste in ihm augenblicklich ein heftig empfundenes und mit einem Ruck durch seinen Körper rasendes Begehren recht erotischer Art, aus. So, als käme das Gefühl von ganz weit weg, oder vielmehr aus den tiefsten Tiefen seiner Selbst. Ihm wurde das Ganze nun doch etwas unheimlich, ahnte er doch, dass sich ein Gefühl aus dieser ganz anderen Dimension  nicht einfach abstellen ließ, so wie er das doch bisher immer ganz gut hinbekommen hatte. –Klick-, du interessierst mich nicht, aus diesem und jenem Grund, also weg mit den Gefühlen, -Klick-, einfach abschalten und weitergehen. So einfach war das. Und sehr bequem.
Sie hatten inzwischen das Ende der Schlucht erreicht. Vor ihnen erhob sich ein  steiler Felshang. Zu ihren Füßen türmten sich zahlreiche überdimensional große Felsbrocken über- und nebeneinander, die sich vermutlich in Jahrtausenden, durch Naturgewalten vom Felshang abgesprengt, hier aufgetürmt hatten. In Ritzen und Kuhlen hatte sich Regenwasser gesammelt.
„Sehr komfortabel. Man braucht sich nicht einmal zu bücken“ sagte Klaus. Er wusch sich gründlich sein Gesicht mit dem eiskalten Wasser, drehte sich dann zu Brigitte um. „Wie habt ihr drei eure Haare so gut hingekriegt?“
Brigitte zog einen Kamm aus der Hosentasche und reichte ihn Klaus. Er begann sich damit zu kämmen und ohne sein Zutun, so erschien es ihm,  lächelte sein Gesicht währenddessen die ganze Zeit. 
Als er fertig war, reichte er ihr den Kamm. Sie streckte ihre Hand danach aus, aber gerade als sie danach greifen wollte, zog er seine  Hand ein Stück zurück. Sie lachten beide. Jetzt wollte er es wissen, jetzt oder nie.
Brigitte trat einen Schritt auf ihn zu und wollte erneut nach dem Kamm greifen, doch zog er seine Hand abermals ein Stück zurück. Brigitte ging auf seine kindische Spielerei ein und trat noch einen Schritt näher zu ihm. In ihren dunklen Augen sah er dieses Funkeln… Da packte er sie mit seinem freien Arm und zog sie an sich. Er küsste sie, und sie erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich. Es war wie in seinem Traum. Sie fühlte sich so wunderbar weich und geschmeidig an, dass er nur noch einen Wunsch hatte, mit ihr alleine zu sein, an einem wunderbar schönen und behaglichen Ort, wo es nur noch sie beide gäbe. Er wusste, dann würde alles wahr werden, alles, wovon er jemals geträumt hatte. Sie lösten sich, und er zog sie wieder zu sich heran, aber sie machte sich behutsam von ihm los, lachte. “Wir dürfen die Kinder nicht vergessen“ sagte sie.
Widerwillig ließ er sie los und sie kehrten schweigend zu ihrem Lager zurück.
Carolin und Natascha hatten in der Zwischenzeit schon ihre Rucksäcke gepackt. Die kleine Picknickdecke lag ordentlich gefaltet daneben. Nach wenigen Minuten konnten sie sich auf den Weg machen. Im Gänsemarsch stiegen sie den  schmalen Pfad wieder hinauf, den sie gestern Abend hinabgekommen waren. Oben angekommen, traten sie einer nach dem anderen in den Wald, der an dieser Stelle ausnahmslos aus Fichten bestand, hinein. Sofort umfing sie vollständige Finsternis und es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen daran gewöhnt hatten. Kurze Zeit später erreichten sie den Weg, von dem aus sie gestern Nachmittag den verschwundenen Kindern gefolgt waren.
Ihr kleines Abenteuer war vorbei und sie marschierten wie ganz normale Wanderer ihrer kleinen Pension zu.
Während des ganzen Weges sprach Brigitte kaum ein Wort. Selbst blühende Pflanzen am Wegesrand wurden von ihr konsequent ignoriert.
Müsste sie nicht der glücklichste Mensch der Welt sein? Ist es nicht genau so gekommen, wie sie es sich erträumt hatte?

Rosen

 

Klaus räumte gerade die Reste vom Abendbrot ab, als es an der Tür schellte. Er eilte zur Tür. Das würden sie sicher sein.
„Natascha, mein Schatz“ Er hob seine Tochter hoch.
„Hattet ihr eine gute Rückreise?- Wo sind denn die anderen?“
„Schon zu Hause“ antwortete sie. Klaus blickte ungläubig.
„Carolins Mutter hatte Kopfschmerzen. Sie wollte sofort ins Bett gehen.“ setzte Natascha erklärend hinzu.
„Nun gut. Hast du schon zu Abend gegessen?“ Natascha nickte.
„Dann waschen, Zähne putzen und ab ins Bett. Morgen ist wieder Schule.“
Murrend ging Natascha nach oben. „Liest du mir noch was vor?“ rief sie von oben herunter.    
„Ja, natürlich“ antwortete er fröhlich. Er bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen. Er hatte sich so sehr auf das Wiedersehen mit Brigitte gefreut, und gehofft, dass es ihr genauso ging. Nachdem er letzte Woche aus Bayern zurückgekommen war, hatte er sofort Mara angerufen und versucht, ihr alles zu erklären. Dass er endlich die Frau gefunden hatte, nach der er immer gesucht hatte. Sie solle nicht böse sein. Es sei einfach geschehen, er könne es nicht ändern...
Mara sagte zuerst gar nichts, dann fing sie an, laut zu schimpfen, erst auf Deutsch, dann noch sehr viel lauter auf  Italienisch.  Irgendwann hat er dann einfach aufgelegt. Er war sicher , sie würde bald darüber hinwegkommen.
Er hatte noch ein paar Tage Urlaub und eigentlich wollte er Brigitte heute Abend fragen, ob sie den morgigen Tag gemeinsam verbringen könnten. Laut seufzend ging er die Treppe nach oben, um Natascha noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen.
Am nächsten Morgen klingelte Carolin bei Natascha, um sie zur Schule abzuholen. Fröhlich schwatzend machten sich die beiden auf den Weg. Einige Minuten später stand Klaus bei Brigitte vor der Tür und drückte auf den Klingelknopf. Brigitte öffnete kurz darauf. Sie schien nicht sonderlich überrascht über sein Erscheinen.
„Hallo“ sagte Klaus. “Du siehst müde aus“
„Ich habe schlecht geschlafen“ sagte sie .
„Ich habe heute frei und wollte dich eigentlich fragen, ob du Zeit hast, und wir gemeinsam etwas unternehmen können.“
„Tut mir leid, aber ich fühle mich heute nicht in der Lage dazu. Ich habe mich im Verlag schon krank gemeldet“
„Ach so, schade“ sagte Klaus enttäuscht. Er wollte aber nicht gleich aufgeben. „Du hast irgendetwas auf dem Herzen. Es sind nicht nur die Kopfschmerzen. Vielleicht willst du es mir erzählen. Ich habe ja sonst nichts vor.“
Brigitte schwieg. Sie schaute zu Boden, wagte es kaum, ihn anzusehen. Anscheinend hatte er den richtigen Riecher. Irgendetwas bedrückte sie und es hatte offensichtlich auch mit ihm selber oder ihnen beiden zu tun.
Vielleicht hatte Brigitte eine unheilbare Krankheit, schoss es ihm durch den Kopf. Oder ihr Ehemann war gar nicht tot und ist jetzt wieder aufgetaucht. Er war entschlossen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
„Kann ich reinkommen?“ fragte er. Als Brigitte immer noch nichts sagte, nutzte er ihre Unentschlossenheit aus, indem er einfach eintrat und die Tür leise hinter sich schloss.
„Okay“ sagte Brigitte plötzlich. “Gehen wir ins Wohnzimmer.“ Er folgte ihr und Brigitte setzte sich im Wohnzimmer auf eine buntgemusterte Couch. Er nahm  auf einem Sessel ihr gegenüber Platz. Sie schauten sich schweigend an, dann sagte  sie: „Was ich dir jetzt erzähle, wird dich sehr verärgern.“
„Nun schieß schon los, ich bin auf’s Schlimmste gefasst.“
„Ich habe mich gleich in dich verliebt, als ich dich zum ersten Mal sah“ sagte sie etwas stockend.
Klaus sah sie lächelnd an. „Na, wenn’s weiter nichts ist“, scherzte er.
„Aber ich habe genau so schnell gemerkt, dass ich bei dir keine Chancen hatte“
„Aber Brigitte“ unterbrach er sie.
„Unterbrich mich nicht“ sagte sie böse. Sie wollte die Sache anscheinend schnell hinter sich bringen  und sprach hastig weiter. “Du weißt, ich war schon früher oft mit meinen Eltern im bayrischen Wald. Einmal hatten wir uns verlaufen und wir kamen zu der Schlucht. Seitdem kannte ich den Weg dorthin – immer, wenn wir in der Schlucht waren, haben wir wunderbare Dinge erlebt. Es kam uns jedes Mal so vor, als existierte dort etwas, … als gäbe es eine Art Magie, so eine Stimmung eben, die man nicht erklären konnte“
Verwirrt blickte Klaus sie an. Sie fuhr fort:
„Unsere Übernachtung in der Schlucht, das… das war alles von mir geplant worden. Ich hatte alles dafür vorbereitet. Carolin war auch eingeweiht gewesen.“
Es dauerte anscheinend eine ganze Weile, bis Klaus den Inhalt dieser Worte begriff. Doch dann machte sich blankes Entsetzen auf seinem Gesicht breit.
„Brigitte, wie konntest du so etwas tun?“ sagte er fast flüsternd.
Brigitte senkte den Kopf. Sie merkte, wie Tränen in ihre Augen stiegen und sie wagte nicht, ihn anzusehen. ‘Jetzt wird er weggehen und nie wiederkommen’ dachte sie. ‘Ich habe alles verdorben’. Sie stand auf und fühlte sich dennoch, als würde sie stürzen. In eine endlose Tiefe, ohne Grund und Boden.
Klaus stand  ebenfalls auf. Kreidebleich nahm er ihre Hand, die eiskalt war. „Brigitte... ich habe dich für so ehrlich und wahrhaftig gehalten. Es war alles so unglaublich schön. Dort in der Schlucht. Du kamst mir auf einmal wie ein rettender Engel vor, der mein Leben mit seiner Liebe bewachen würde. Ich verstehe nicht, wie ich mich habe täuschen lassen. Ich....“
Sie standen sich eine Zeitlang schweigend gegenüber. Durch ihre Tränen sah sie sein Gesicht. Er schaute sie an und sagte „Ich weiß nicht mehr, was ich denken oder fühlen soll, Brigitte. Bitte, lass‘ mir etwas Zeit. Mir und auch Natascha.“

Kletterpflanze

 

2 Wochen später

„Na, da bist du ja endlich wieder, mein kleiner Engel!“
„Es war schön bei Oma, aber ich habe dich soo sehr vermisst, Papi. – Darf ich jetzt wieder zu Carolin?“
„Ja, natürlich, später. Zuerst wird ausgepackt und gegessen.“

Brigitte hob erstaunt den Brief auf, der auf dem Boden in der Diele gleich unterhalb des Briefschlitzes  lag. Komisch, die Post war doch schon vor Stunden da gewesen, wer hatte ihr denn da einen so ordentlich verpackten Brief geschrieben. Auf dem länglichen Kuvert stand ihr Name, nur ihr Vorname. Die Schrift konnte sie niemandem, den sie kannte, zuordnen. Sie öffnete das Kuvert und entfaltete den Bogen Papier:
„Meine liebe Brigitte,
dafür, dass du Carolin auch noch in diese Lügengeschichte mit hineingezogen hast, solltest du eine Tracht Prügel bekommen (und ich werde es mir nicht entgehen lassen, die Strafe höchstpersönlich und in aller Härte zu vollstrecken).
Aber ich kann auf frische Waldbeeren einfach nicht mehr verzichten. Du wirst  dein Leben lang welche für mich pflücken müssen, wann immer ich Verlangen danach habe.
Schließlich weißt du ja, wo sie wachsen.
Dein Klaus“
Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Dann brach sie hemmungslos in Tränen aus. Wie schrecklich waren die letzten zwei Wochen gewesen. Sie hatte sich so sehr am Boden zerstört gefühlt, als hätte man ihr zum zweitenmal genommen, woran ihr Herz so sehr hängt. Klaus und Natascha waren einfach weggefahren und ließen sie hier im Ungewissen. Ein 14-tägiger Sturz ins Bodenlose und nun sollte alles doch noch ein gutes Ende haben?
Sie hatte den Brief noch immer in der Hand, als sie vor seiner Haustür stand und auf den Klingelknopf drückte. Klaus öffnete und sah sie mit seinem strahlendsten Lächeln an, bei dem bisher noch jede Frau weiche Knie bekommen hat.
„Du bist nicht  mehr böse?“ fragte sie schüchtern.
„Doch sehr“ sagte er und drückte sie so fest an sich , dass sie fast keine Luft mehr bekam. „Jetzt kann ich die Bedingungen stellen“, verkündete er immer noch lachend. „Erstens: Ich stehe am Herd, während du mit den Kindern Nüsse und Beeren sammelst. Zweitens: Ich bestimme, wann und wie oft ich dich küssen möchte und drittens: Jedes Jahr  Urlaub im bayrischen Wald – Fachvorträge über Pflanzenkunde inclusive“. Er küsste sie auf ihren lachenden Mund und achtete nicht auf ihren Protest und endlich gab er sich diesem Wohlgefühl hin, das seit der Nacht im bayrischen Wald in ihm wohnte und – das wusste er einfach - ihn von heute an nie wieder verlassen würde. 

 

 

 

 

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